Der Westen Amerikas – Teil 1: San Francisco

Der Westen Amerikas

Vorwort

Wir träumten beide schon lange davon, einmal die Westküste Amerikas zu bereisen. Dass es dann aber so schnell Realität werden sollte, das hätte keiner von uns gedacht. In diesem Jahr machte ich so viele Reiseplanungen wie noch nie, und sie alle waren mit allen Einzelheiten bis ins kleinste Detail durchgeplant. Im August sollte es mit dem Fahrrad zum Gardasee gehen, daraus wurde arbeitsbedingt leider nichts. An Amerika dachten wir zwar immer wieder, aber die Kosten schreckten dann doch ab. Dann sollte es im September eben Asien werden, das ist günstig. Regenzeit, schwierige Planung und zu guter Letzt die nette Frage einer Freundin, ob wir denn schon alle Impfungen hätten. Verdammt! Daran hatten weder Laura noch ich gedacht. Uns fehlten alle relevanten Tropenimpfungen, die in der Kürze der Zeit auch nicht nachzuholen sind. Also Indonesien, so schön war die Planung, so nicht existent die Reise. Nun standen wir vor einem Problem: Es gibt nicht so viele halbwegs warme Ziele, die man ohne vorherige Impfung im Oktober bereisen kann.

Dazu muss man wissen, dass Laura und ich beide keine Freunde von reinem Strandurlaub sind. Unsere Erholung vom Alltag sieht so aus, dass wir am besten durch neue Reize, Erlebnisse und Eindrücke abschalten können. Und welches Land bietet mehr neue Eindrücke als Japan? Also ab zur nächsten Reiseplanung, die kurz vor der Buchung jedoch auch ein jähes Ende nahm. Denn die Flugpreise sind in den letzten Tagen so gestiegen, dass wir einfach keine 2,500,- Euro oder mehr nur für die Flüge zahlen wollten. Spontan und eher halbherzig San Francisco als Zielflughafen eingetragen, man macht sich ja doch keine Hoffnungen. Doch manchmal sollte man die Hoffnung eben nicht aufgeben, die Flüge nach San Fransico waren um mehr als die Hälfte günstiger als die Flüge nach Japan. Ein Traum! Und schon ging die nächste Planung los, Westküste Amerika, wir kommen!

 

Beginn der Reise

Vorspulen auf Dienstag, den 31.10.2023. Unsere ESTA-Formulare wurden von der US-Behörde genehmigt, den Online-CheckIn hatten wir erfolgreich hinter uns und nun sitzen wir mit gepackten Koffern und sicherheitshalber nochmal ausgedruckten Formularen und Reisedaten im Auto auf dem Weg zum Flughafen. Die Vorfreude auf Amerika ist riesig, als wir den Flieger besteigen. Da schrecken auch die mehr als 12 Stunden Flug nonstop über den Atlantik nicht ab. Dank heruntergeladener Netflix-Serien auf das iPad wurde schließlich für genügend Unterhaltung gesorgt.

Wir flogen gegen die Zeit und kamen trotz 12 Stunden Flugzeit wieder am Nachmittag des 31.10.2023 in der vermeintlichen Halloween-Hochburg Amerikas an. An Halloween! Der nächste übliche Halt eines jeden Westküste-Rundreisenden ist der Autovermieter seiner Wahl. Wir entschieden uns jedoch bewusst gegen ein Auto in San Francisco, da man das Leben der Bewohner doch etwas ungefilterter wahrnimmt, wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln reist. San Francisco war dahingehend eine kleine Herausforderung, denn das öffentliche Verkehrsnetz bestand aus mehreren unterschiedlichen Anbietern mit eigenen Tarifen und Co. So mussten wir bei allen Verbindungen immer prüfen, von welchem Anbieter ein Teilabschnitt der Strecke war und welche Tickets es dafür braucht.

Nach einigem Hin und Her schafften wir es dann aber doch und stiegen einige Zeit später schon an der Powell Street aus, um die letzten Meter zum Hotel Super 8 by Wyndham San Francisco/Union Square Area 415 O’Farrell Street zu gehen. Es war jetzt nicht die allerschönste Gegend, aber das war uns egal, denn wir waren froh, uns hinzulegen und erstmal auszuruhen.

Leider muss ich an dieser Stelle aber auch erklären, warum im folgenden kaum bis keine Nacht-Fotos von San Francisco gibt. Liebe Mama, jetzt kannst du es ja erfahren, ich bin ja wieder heil zuhause. Augen auf bei der Hotelbuchung, denn ich hatte nicht geschaut, in welcher Gegend unser Hotel lag. Tenderloin. Ein Blick auf den Wikipedia-Artikel sagt:

The Tenderloin is a high-crime neighborhood, particularly violent street crime… escalating drug violence… including brazen daylight shootings… one of the highest rates of violence and drug activity in San Francisco

Alles nicht so schlimm, könnte einer meinen. Und anscheinend war es vor Corona auch nicht so schlimm. Durch Corona und die Zeit danach scheint sich das Problem mit Drogen, Kriminalität und Obdachlosigkeit extrem zugespitzt zu haben. Genaueres dann hier: Tenderloin Nachrichten. Und so kam es, dass zumindest ich mich im Ausland noch nie so unsicher gefühlt habe. Wir verbrachten die Abende nach Einbruch der Dunkelheit daher immer im Hotel. Blöd nur, dass es bereits 16:30 dunkel wurde.

 

Am nächsten Morgen waren wir ganz mutig und fuhren vor Sonnenaufgang mit dem Bus zur Golden Gate Bridge. Der Bus war gefüllt mit einer Mischung von Betrunkenen, Drogensüchtigen und Personen auf dem Weg zur Arbeit. Es ist immer ein komisches Gefühl, wenn Leute einfach laut Selbstgespräche führen oder ohne erkenntlichen Grund schreien.

Dafür waren die kommenden Eindrücke umso schöner! Ein Ausflug, der mir für immer in Erinnerung bleiben wird. Die Golden Gate Bridge zum ersten Mal mit eigenen Augen sehen, ganz sanft beleuchtet vom Anbruch des Tages. Hinten rechts die Gefängnisinsel Alcatraz, vor einem die rot glänzende Brücke. Von der Bushaltestelle waren es nur wenige Meter bis zur Brücke und ein 15 minütiger Spaziergang bis zum Pier unten.

Wieder oben angekommen ging es durch einen der Abschnitte, die mir von San Francisco am meisten in Erinnerung bleiben werden. Direkt am Rande der Stadt ein komplett verlassener und ruhiger Abschnitt in der Natur, nur unsere Schritte und das Rauschen der Wellen im Ohr, die am Strand brechen. Wir waren langsam unterwegs, blieben oft stehen und genossen die Aussicht, denn Zeitdruck hatten wir gar keinen.

Wenn ich mir die Bilder nachträglich anschaue, ist es erstaunlich, wie sehr Laura hier noch strahlte, denn gut ging es ihr da schon nicht mehr. Nicht unbedingt im Flugzeug angesteckt, aber auf jeden Fall durch den Flug mit unfassbar kalter Kabine ausgebrochen: Eine Erkältung. Ein Kratzen am Vortag als Vorbote von dem, was erst Laura und dann 3 Tage versetzt auch mich für die gesamte Reise begleiten sollte.

Auf der Suche nach einem Bus, der unseren weiteren Weg abkürzen könnte, sind wir an der Lobos Valley Bushaltestelle im Stadtteil Presidio angekommen. Und was lehnte dort auf einem kleinen Podest? Ein kleines rotes iPhone, von dem ich leider kein Foto gemacht hatte. Es war noch an, 1% Akku, jemand musste es vergessen haben. Ich schloss es schnell an meiner Powerbank an und damit Begann eine Reise in die Welt der Recherche. Wem gehörte das Telefon? Wie finden wir den Besitzer wieder? Wie können wir es ihm in den nur 2 Tagen Aufenthalt in San Francisco heil übergeben? Auf dem Sperrbildschirm des iPhones waren Benachrichtigungen und verpasste Anrufe zu sehen, ein Rückruf sollte doch Auskunft geben? Doch so leicht war der Krimi nicht zu lösen. Anrufversuche wurden nicht angenommen, Mitteilungen auf dem Bildschirm entpuppten sich als Sackgasse, wie sollten wir nur weitermachen?

Nach dem Spaziergang an der wilden und rauen Pazifikküste wurde es wieder bewohnter, wir waren in richtig netten Wohngegenden mit Häusern, wie man sie nur aus Filmen kennt. Unser Weg führte uns aber nicht nur entlang von Straßen, sondern der gesamte Stadtteil ist mit Trails (=kleinen oder auch größeren Trampelpfaden) durchzogen. So wechselten wir immer zwischen Wohngebieten, kleinen Parks, schmalen Pfaden durch kleine Wäldchen und auch mal einem großen Golfplatz oben in Presidio.

 

Viele tausend Schritte später war er endlich vor uns, der richtige San Francisco Beach! Weißer Sandstrand und die Surfer im Wasser. Kurz vorher haben wir noch einen Abstecher zum Mittagessen gemacht, die Rundreise durch Amerika muss natürlich mit einem Burger eingeläutet werden. Alles andere hätte sich in diesem Land einfach falsch angefühlt. Und so bestellten wir unseren ersten von unzähligen Burgern der Rundreise. Der Beste war es nicht, aber er war auch weit weg von schlecht. Vor allem aber gab er Laura die nötige Kraft, sich noch bis zur Bank am Strand zu schleppen, auf dem sie erst einmal friedlich Mittagschlaf mache. Findet ihr sie?

 

Ganz schön unterschiedlich, diese Stadt. Vom reichen Golfspieler, bunten LGBTQ-Communities über Sozialarbeiter und Straßen voller Obdachlosen war fast alles dabei. Nur andere Touristen haben wir bis auf der grünen Wiese vor den Painted Ladies (die bunten nebeneinanderstehenden Holzhäuser oben) nie gesehen. Anfang November scheint eine schöne Zeit für eine Amerika-Rundreise zu sein!

Erinnert ihr euch noch an das rote iPhone? In den Notfallinformationen, die man im iPhone hinterlegen kann und auf die auch ohne bekannten Code zugegriffen werden kann, war eine Telefonnummer der Schwester hinterlegt. Einen halben Abend voller Recherchen später hatte ich sowohl Adresse als auch Telefonnummer der besagten Schwester, aber auch sie wollte nicht ans Telefon gehen. Betrübt gab ich irgendwann auf und war mir schon sicher, dass das iPhone nie seinen Besitzer finden wird, wenn ich es bei der Polizei abgebe. Doch spät am Abend ein Anruf. Es klingelte auf besagtem roten iPhone und es war niemand geringeres als der Besitzer selbst! Nach einigem Gestammel (die Satzfindung zur möglichst kurzen und genauen Erklärung in Englisch, wer man nun sei und wie man zum Telefon gekommen ist, fällt dann manchmal doch recht schwer) vereinbarten wir die Abgabe in einem Geschäft am nächsten Morgen. Das vorherige Foto von mir im weißem Oberteil enstand vor dem Tiffanys-Geschäft, kurz bevor wir eintreten durften. Auch dort versuchte ich mich wieder am Erklärungsversuch, warum ich als wildfremder Tourist irgendein beliebiges Telefon dortlassen möchte, es würde bestimmt bald abgeholt werden. Es strahlten mir Gesichtsausdrücke voller Fragezeichen entgegen. Bis Laura auf die Idee kam, dass der Besitzer doch gestern erwähnt hatte, er würde dort öfter einkaufen. Direkt, nachdem das erwähnt wurde, kam die Frage „Oh, what´s his name“. „Luis, Luis Castro“. Und nur einen Bruchteil einer Sekunde später erklang es laut, aufgeregt und voller Euphorie aus dem Hintergrund „OH, THAT´S MY CLIENT“. Und so fand das rote iPhone von Luis Castro wieder zu seinem Besitzter.

Was Amerika so spannend macht, ist, wie schnell und stark die Kontraste aufeinandertreffen. In einer Straße Tiffanys und Rolls Royce am Straßenrand. Einen Block weiter Dreck, Drogensüchtige und Obdachlose. Es ist das eine, darüber zu lesen. Es ist aber etwas ganz anderes, wenn man sieht, wie sich Personen mitten am Tag zwei Meter neben einem Drogen spritzen. Achtet einmal auf die gebeugte Körperhaltung der zwei Personen im Vordergrund der kommenden 4 Bildern. Die in San Francisco weit verbreitete Droge Fentanyl sorgt anscheinend dafür, dass die Personen mitten um Stehen eindösen „Nodding off“. Die Beine zwar aufrecht, den Oberkörper aber stark nach vorne gebeugt schlafen die Menschen stundenlang. Das sorgt dafür, dass die Wirbelsäule im Laufe der vielen Eindösphasen immer mehr verkrümt und die Personen irgendwann gar nicht mehr gerade stehen oder auch liegen können.

Den schlimmen Teil von San Francisco hinter uns gelassen, besuchten wir das kleine Museum der berühmten Cable Cars, den Straßenbahnen von San Francisco. Wenn ihr weiter unten das Bild mit den großen runden Laufrädern in der Maschinenhallte seht, stellt euch einmal vor, wie die dort geführten Kabel einmal kreuz und quer unterirdisch durch San Francisco führen, um die Straßenbahnen anzutreiben.

Jeder Straßenzug hat sein eigenes Kabel, dessen Name über der Rolle in der Maschinenhalle steht. Die Straßenbahnen sind per „Klammerung – The Grip“ an den sich durchgehend bewegenden Kabeln verbunden. Je fester der „Gripman“ den Griff der Klammerung einstellt, umso mehr Reibwirkung zwischen Griff und Kabel und umso mehr nimmt die Straßenbahn das Tempo des Kabels auf. Wird der Griff gelockert, schleift das Kabel mehr durch die Klammerung und die Straßenbahn wird langsamer.

Am nächsten Morgen trennten sich unsere Wege. Während Laura alleine über die Golden Gate Bridge lief und die beiden oberen Fotos machte, wollte ich unbedingt noch einmal einen Teil des Weges entlang der Küste von gestern joggen. Schwierige Pfade, Sand mit Steinen und teils verdeckten Wurzeln, hochkonzentriert meisterte ich alles ohne einen einzigen Sturz. Das sollte sich abrupt auf der ersten asphaltierten Straße ändern. Ein Auto kam von vorne, ich schaue auf und knickte unmittelbar so stark um und stürzte, dass mein Knie beim Aufprall richtig aufplatze und ich neben meinen vermutlich angerissenen äußeren Bändern auch noch zwei Platzwunden am Knie hatte. Das merkte ich aber erst 1 Woche später, als die Kruste weg war und ich die wortwörtlich zerfetzten Ränder der Wunde in der Haut sehen konnte. Jetzt, 4 Wochen später, schmerzt mein Knie zwar nicht mehr, mein rechtes Sprungelenk tut aber weiterhin weh. Umso unspannender war leider der restliche Tag, denn an viel gehen war nicht mehr zu denken. Gott sei Dank ging der richtige Roadtrip mit viel Autofahren und Sitzen am nächsten Tag richtig los!